Als Autor und Torwart hütet Christian Kössler die Schwelle zwischen Humor und Grauen
Es begab sich also am 8.12.2022, dass sich – ungeachtet der grassierenden Grippe- und Corona-Wellen – einige mutige literarisch Interessierte aufmachten ins TTZ Marburg, um Christian Kössler dabei zu lauschen, wie er aus seinen Kurzgeschichten vorlas.
Passend zum Genre gekleidet, ganz in Schwarz und Grau, wurden sie vom Autor empfangen, dessen Bücher auf dem Lesetisch aufgebahrt lagen. Bei gedimmtem Licht verhießen die Titel Bestialisches Innsbruck, Unheimliches Tirol und Innsbrucker Totentanz bereits einen abwechslungsreich-schaurigen Abend. Heute würde das Publikum also nicht nach Innsbruck oder Südtirol allein entführt werden, sondern vielmehr in ein düst’res Schattenreich, aus dessen Nebelfäden Christian Kössler zahlreiche Kurzgeschichten gewebt hat.
Er selbst, so gab der Autor, Torwart und Bibliothekar zu Beginn der Lesung an, war bisher noch nie in Marburg gewesen. Dafür aber in Stadtallendorf, und zwar als Torwart des österreichischen Autoren-Fußballteams. Ein ‚Wunder von Stadtallendorf‘ scheint damals allerdings nicht geschehen zu sein, weil die Bedingungen des Ballspiels in Deutschland doch ganz andere waren als in Österreich: die Banden fehlten, man musste auf Tartan spielen und das Schlimmste: der Ball war keine Schweinsblase. Dessen ungeachtet darf angenommen werden, dass dem Innsbrucker die Stadt Marburg, wie auch weite Teile Mittelhessens, gut gefallen hat, betrachtet man die erste Kurzgeschichte, die an diesem Abend zum Besten gegeben wurde: Der Grenzgänger.
Gemäß Christian Kösslers erklärter Gewohnheit, in einer Lesung immer auch ein wenig Lokalkolorit einzubringen, verschob sich der Handlungsort spontan aus Tirol nach Hessen: Hier erwartete die gespannten Zuhörer:innen die wahrscheinlich angsteinflößendste Taxifahrt, die sie jemals – von Gießen nach Marburg – erlebt haben, sowie auch ein mit bibliothekarischer Kenntnis versehener Kommentar zum Vampir als literarischem Wesen. Dazu ein Plot-Twist, der einem Roald Dahl zu Ehren gereicht hätte und der als Kurzfilm auf Vimeo bestaunt werden kann – in einer Adaption des Innsbrucker Regisseurs Felix Gorbach.
Geistergeschichten, so erklärte der Autor im Anschluss, hätten ihn tief geprägt: Mit acht, vielleicht auch neun Jahren spann er sein erstes Gruselgarn rund um eine durchaus typische Familie, die sich in einem ebenso typischen Wald befindet, der – noch typischer – bei einem Spukschloss endet.
Das erste Sagenbuch indes war 1982 in seinen Besitz geraten; ebenfalls eine bleibende Inspiration, da Sagen immer auch einen wahren Kern enthalten, der sich mit seinem festen Ortsbezug in die heutige Zeit übertragen lässt. So konnte es auch nicht verwundern, dass Christian Kössler zwei eigene Sagenbücher vorlegte, aus denen er jeweils eine Geschichte vorlas: Unheimliches Tirol: 17 Geister- und Teufelssagen aus Nord-, Ost- und Südtirol neu erzählt und in die Gegenwart verlegt sowie Tiroler Teufelstanz: 16 düster-schaurige Sagen aus Nord-, Ost- und Südtirol.
Die erste Geschichte, eine kleine Liebeserklärung an den Kalterer See, berichtet von einem Journalisten, der nach einem alles andere als alltäglichen Gespräch an einer Tankstelle (wohl aus Geringachtung der jenseitigen Welt) nicht nur Zeuge, sondern schließlich auch Opfer einer Heimsuchung wird. Gleich jenem Feldwächter der Sage also, dem es einst geraten schien, in einen Friedhof hinein zu schießen, nur um von einem Gespenst so fest an die Friedhofsmauer gedrückt zu werden, dass er starb. Sein Abdruck, so heißt es, sei bis heute zu betrachten – nahe der Tankstelle, an der die Geschichte ihren Ausgang nimmt, just als ein geheimnisvoller Wind aufkommt. Ein sorgfältig zu beachtendes Detail, das dem Publikum wohl in Zukunft nicht so leicht entfallen wird, denn, wie Christian Kössler verriet: „Meistens, wenn in meinen Geschichten der Wind geht, geht etwas schief.“
Ein kurzes Intermezzo gab es nach diesem spannenden Ausflug in die Heimat des Autors mit einer literarischen Rückkehr nach Mittelhessen: Im Bestand der ihm anvertrauten Bibliothek hat Christian Kössler ein Sagenbuch gefunden, das wie so viele ähnliche Bücher, denen wir die Kenntnis der alten Sagen verdanken, Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden ist. Und so hörte das erstaunte Publikum von den Umtrieben der gierigen Lahn, die noch vor wenigen Jahrzehnten lautstark und auf Hessisch regelmäßig Blutzoll von den dort lebenden Menschen gefordert hatte.
Doch nicht nur die Lahn, auch das Tiroler Oberland ist wahrlich sinister, wie der Innsbrucker Autor in der darauffolgenden Geschichte bewies, die sich um eine Kunstausstellung drehte, welche sich vor allem der düster-phantastischen Atmosphäre der Alpen widmete. Das Publikum hörte von einem geprellten Teufel, der Schwierigkeit, einen Pakt korrekt zu erfüllen, und dem Fortleben des Künstlers nach dem Tode. Es versteht sich von selbst, dass alle Ähnlichkeiten mit Kösslers Lesung in Marburg, das schaurig-dunkle Outfit inbegriffen, nur dem Zufall zuzuschreiben waren.
Eine andere Seite zeigte der Schauer-Experte schließlich mit Mitterweg Blues, einer kurzen, aber wirkmächtigen Geschichte über eine beklemmende Zugfahrt (mit verräterischem Luftzug) mitsamt einer wirklich schiefgegangenen Geburtstagsüberraschung.
Damit die Zuhörer:innen Mut für den Weg nach Hause schöpfen konnten, verließ Christian Kössler letztlich das blutige Feld der Phantastik und begab sich auf den Fußballplatz, um sein neustes Buch vorzustellen: Ein Tor ist, wer im Tor isst. Mit viel Witz und Wortspiel unterstreicht die Anthologie nicht zuletzt die Notwendigkeit von Torhütern, denen selten der gebührende Respekt gezollt wird, wie Kössler selbst in der österreichischen Autoren-Mannschaft nur allzu häufig am eigenen Leib erfahren muss. Mulmig kann es einem aber auch auf dem Platz werden, zum Beispiel vor der Bedrohung, die von schwedischen Fußball-Profis in der schottischen Autoren-Nationalmannschaft ausgeht.
Nach dieser abwechslungsreichen Lesung, in der Christian Kössler den Zuhörer:innen die meisten öffentlichen Transportmittel zumindest ein wenig suspekt gemacht hat, immer wieder für Aha-Effekte durch einen gut gemachten Plot-Twist sorgte und auch dafür, dass die Marburger Lahn nie wieder in Ruhe betrachtet werden kann, stellte er sich als guter Torwart noch den Fragen, die ihm das Publikum zuspielte. Dabei ergab sich, dass weitere Texte des Autors in Arbeit sind, Kurzgeschichten von Roald Dahl eine sehr starke Inspiration darstellen, Romane des Autors Sache nicht sind und Kinder zu kritisch, um für sie zu schreiben. Der geneigten Leserschaft in Zukunft auch diejenigen Transportmittel zu verleiden, die noch nicht in seinen Geschichten vorgekommen sind, erklärt Christian Kössler durchaus für möglich.
Wir dürfen gespannt sein!
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